Votivstatue eines Mannes
Am Beginn der griechischen monumentalen Skulptur entwickelt sich um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. der Typus des Kuros, des unbekleideten Jünglings, der stehend, mit vorgesetztem linkem Bein und seitlich anliegenden Armen wiedergegeben wird. Die zyprischen Werke der Bildhauerkunst aus dieser Zeit, etwa die im Apollon-Heiligtum bei Pyla auf Zypern gefundene Statue Kat.-Nr. 76, entsprechen in Aufbau und Haltung weitgehend diesem Typus. (Vgl. zur Geschichte der Statue im 19. Jahrhundert den Aufsatz von A. Bernhard-Walcher im vorliegenden Katalog.) Deutlich feststellbar sind bei den zyprischen Skulpturen jedoch auch noch andere Einflüsse; sie resultieren aus der wechselvollen Geschichte der Insel, die im 7. Jahrhundert unter assyrischer, im 6. Jahrhundert unter ägyptischer, danach unter persischer Vorherrschaft stand. Wie einige Kuroi aus dem ionischen Osten, aus Samos, Pergamon und Milet, sind auch die zyprischen Statuen nach orientalischer Sitte fast immer bekleidet; ihr Mantel erinnert an das schräge Mäntelchen der griechischen spätarchaischen Koren, das ab der Mitte des 6. Jahrhunderts im ionischen Osten entwickelt wurde. Die Statuen der Kuroi wurden als Weihegeschenke in Heiligtümern oder als Bild des heroisierten Toten auf Gräbern aufgestellt. Diese überlebensgroße Statue wurde in einem Apollon-Heiligtum gefunden, wohin sie wohl als Weihegeschenk gestiftet worden war. Während die Statuen der griechischen Kuroi als Zeichen ihrer Jugendlichkeit bartlos sind, trägt die Statue aus Pyla einen mächtigen, aus stilisierten Ringellöckchen gebildeten Bart, der auf assyrischen Einfluß zurückgeht; dazu kommt ein feiner Schnurrbart, der aus mehreren horizontalen, plastisch angegebenen Bändern gebildet wird. Das Haar ist über der Stirn gewellt und fällt am Hinterkopf in breiter Masse perückenartig tief in den Rücken herab, wo es jedoch, wie die gesamte Rückseite, nur grob ausgearbeitet ist. Hinter den weit nach hinten versetzten und zu hoch positionierten Ohren fallen je drei Lockensträhnen über beide Schultern auf die Brust herab, wobei regelmäßige, wellenförmige Vertiefungen, die wie in Ton eingedrückt erscheinen, den Eindruck von geflochtenem Haar vermitteln sollen. Im Haar ein Blattkranz mit gegenständigen Blättern, die über der Stirnmitte ihre Richtung ändern. Das strahlende Antlitz wird durch die großen, mandelförmigen Augen mit den hochgezogenen Brauen, die kräftige (zum Teil ergänzte) Nase und den Mund bestimmt, dessen volle Lippen mit den leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln den Eindruck eines verhaltenen Lächelns hervorrufen. Die Statue ist von überaus kräftigem Körperbau mit breiten Schultern, einer mächtigen Brust und starker Arm- und Beinmuskulatur, wobei am linken Knie die Bildung der Kniescheibe als linsenförmige Vertiefung auffällt, die fast an ein Auge erinnert. Unter dem ursprünglich roten Mantel (Farbspuren über dem rechten Oberschenkel), der die rechte Brust und die linke Körperseite freiläßt, dürfte sich einst ein nur gemaltes, eng anliegendes Untergewand befunden haben (vgl. Kat.-Nr. 77). Der Mantel ist an der linken Schulter geheftet und mit bogenförmigen Falten um den Rumpf geführt; eine mehrfach zusammengefaltete Stoffbahn fällt von der linken Schulter in abgetreppten, zickzackförmigen Falten nach vorn herab. Die strenge Frontalität, die Geschlossenheit des Umrisses mit den herabhängenden, leicht angewinkelten Armen und den zu Fäusten geballten Händen sowie die Schrittstellung dieser Kuroi entstanden zweifelsohne unter dem Einfluß Ägyptens. Dieser wurde auch schon in der Antike erkannt; so beschreibt zum Beispiel Diodor (I,98,9) im 1. Jahrhundert n. Chr. die Skulptur eines im Kuros-Typus geschaffenen Apollon Pythios auf Samos als Statue, „die ägyptischen Werken ähnlich ist“. Von Anfang an lösen die griechischen Künstler ihre Statuen jedoch von dem Rückenpfeiler, durch den die ägyptischen Statuen dem Steinblock, aus dem sie herausgearbeitet wurden, verhaftet bleiben. Während man in Ägypten an der einmal gefundenen Form festhält, entwickelt sich im griechischen Kulturkreis im Verlauf von 150 Jahren der Typus des archaischen Kuros zur frühklassischen Jünglingsgestalt. In Zypern allerdings verläuft diese Entwicklung (ähnlich wie in Etrurien) verlangsamt und nicht so kontinuierlich: So wirkt diese um die Wende zum 5. Jahrhundert geschaffene Weihestatue noch durchaus archaisch, wobei vor allem die nicht vollständige Trennung der Unterschenkel, die im besonderen an ägyptische Statuen erinnert, auffällt.A. Bernhard-Walcher u. a., Die Sammlung zyprischer Antiken im KHM. Sammlungskataloge des KHM Bd. 2, Wien: 1999
Title:
Votivstatue eines Mannes
Time:
550 - 525 v. Chr.
Culture:
Zyprisch
Location of discovery:
Pyla (Zypern)
Material/technology:
Kalkstein; Reste von Bemalung
Dimensions:
H. 201 cm
Copyright:
Kunsthistorisches Museum Wien, Antikensammlung
Invs.:
Antikensammlung, I 341
Provenance:
Lang, Sir Robert H.; Millosicz, Georg von, Wien; 1872 Kauf