Augensalbenstempel des Natalinus Victorinus
In der Antikensammlung werden insgesamt vier sogenannte Augensalbenstempel verwahrt (Inv.-Nrn. III 179–182). Sie scheinen eine Besonderheit der gallo-römischen Augenärzte gewesen zu sein. Es handelt sich um kleine, flache und zumeist quadratische Steinplatten mit Inschriften auf allen vier Schmalseiten. Der Text ist meist zweizeilig und in Spiegelschrift geschrieben, er nennt den Namen des Arztes (oder des Herstellers) der Salbe sowie des Augenleidens, gegen das sie wirken soll. Das Heilmittel selbst wurde wahrscheinlich mit Gummi gebunden und in Form eines kleinen Brötchens (griechisch: kollyrion) gebracht. Dieses versah man im halbfesten Zustand mit dem entsprechenden Stempelaufdruck, der dann seitenrichtig zu lesen war. Für die Anwendung mussten die Kollyrien in Milch, Eiweiß oder Wasser aufgelöst werden.Der Name auf unserem Stempel lautet Natalinus Victorinus. Auf den vier Seiten des Steines werden folgende Arzneien angeführt (jeweils nach vorangestelltem "Des Natalinus Victorinus"): Seite a) Linderungsmittel bei akuten Anfall, b) Pflanzensalbe für Narben, c) Vitriolsalbe gegen Affektionen sowie d) Meerwassersalbe (Salzlösung).Dieser Augensalbenstempel trägt zusätzlich auf seiner Oberseite eine Kennzeichnung für die Bezeichnung der Kollyria auf den Schmalseiten: L (für LENEM), H (für HERBACI[um]) und T (oder D) (für TALASSE[ros] bzw. DIAMISVUS); eine Kennzeichnung auf der vierten Seite (d) fehlt, dort ist der Stein durchlocht.
Titel:
Augensalbenstempel des Natalinus Victorinus
Zeit:
2. - 4. Jh. n. Chr.
Objektbezeichnung:
Augensalbenstempel (Augenarztstempel, Okulistenstempel)
Kultur:
Römisch
Material/Technik:
Speckstein, grün
Maße:
5,23 cm × 4,98 cm × 1,23 cm
Beschriftung:
Transkription:
Seite a) NATALINI VICT | OR<i>NI LENEM AD IM(petum) ←
Seite b) NATALINI VICṬ | ORINI HERBACI(um) ←
Seite c) ṆẠṬALINI VICTORI |NI DIAMISVS AD* ←
Seite d) NATALINI VICTO | RINI TALASSE(ros) ←
Übersetzung:
a) Von Natalinus Victorinus, weich, für den Ausbruch
b) Von Natalinus Victorinus, grasfarbig
c) Von Natalinus Victorinus, auf Basis "misy"
d) Von Natalinus Victorinus, maritim
Bei "misy" handelt es sich um eine aus Kupfer gewonnene Zutat. Auf die Oberseite des Steines sind die Buchstaben L, H und T (oder D) dünn eingeritzt, um so die auf den Schmalseiten angeführten Bezeichnungen der Kollyria zu kennzeichnen: LENEM, HERBACI(um) und TALASSE(ros) bzw. DIAMISVS.
Transkription und Übersetzung: Muriel Labonnelie, Université de Bourgogne, Juli 2024
Anmerkungen: Karoline Zhuber-Okrog, nach Muriel Labonnelie
Bildrecht:
Kunsthistorisches Museum Wien, Antikensammlung
Inv. Nr.:
Antikensammlung, III 181
Provenienz:
unbekannt; 1804 vorhanden