Geburt von Charles Wautier, dem Bruder von Michaelina, in Mons
Geboren: um 1614, Mons (Belgien)
Verstorben: 1689, Brüssel
Michaelina Wautier in unserer Online-Sammlung
Geboren: um 1614, Mons (Belgien)
Verstorben: 1689, Brüssel
Michaelina Wautier in unserer Online-Sammlung
„Aber wenn die Frauen so gut wirkliche Menschen zur Welt bringen, wen wundert es da, daß die, die wollen, auch gemalte schaffen können?“
Michaelina Wautier ist Künstlerin, genauer gesagt: Malerin. Eine Barockmalerin, über die wir noch wenig wissen. Eine Frau, die sich in ihrer Zeit über Regeln und Konventionen hinweggesetzt hat und von der Kunstgeschichte vergessen wurde.
Erst in jüngster Zeit wird ihr Werk wiederentdeckt. Das Rätselhafte beginnt schon bei ihrem Namen: Geboren als Michelle, gibt sie sich den latinisierten Künstlernamen „Michaelina“.
In frühen Inventaren spricht man auch von Magdalena – eine Verwechslung mit ihrer Schwester, die jedoch gar nicht gemalt hat. Auch wurden ihre Werke zuweilen anderen Künstlern wie u. a. Anthonis van Dyck oder ihrem Bruder Charles Wautier zugeschrieben, mit dem sie sich vermutlich eine Werkstatt teilte.
Aber wer war Michaelina Wautier?
Das wenige, das uns heute über Michaelina Wautier bekannt ist, beschränkt sich auf einzelne Lebensdaten. Schon bei einer genauen Angabe ihres Geburtsjahrs müssen wir passen: Nach neuesten Forschungen wurde sie vermutlich um 1614 in Mons (wallonische Provinz Hennegau, heute Belgien) als eines von zwölf Kindern geboren. Obwohl Michaelinas Familie nicht dem Adel angehört, wächst sie in einem verwandtschaftlich intellektuell gebildeten Umfeld auf. Zudem unterhält ihre Familie Beziehungen zu den De Merodes, einer der bedeutendsten Adelsfamilien der Südlichen Niederlande, der die Gegend um Mons gehört und die wahrscheinlich bei der Förderung einiger Kinder der Wautiers entscheidend mitgewirkt hat.
Auf dem Sprung nach Brüssel
1638 verstirbt Michaelinas Mutter, ihr Vater starb schon 1617. Ob Michaelina Wautier da bereits in Brüssel lebt, ist nicht bekannt. Sie ist vermutlich ungefähr 25 Jahre alt, findet sich aber in keinem Melderegister oder Zunftbuch in Brüssel. Dieser Umstand macht es äußerst schwierig bis unmöglich, ihre Bewegungen nachzuvollziehen. Es gilt als wahrscheinlich, dass Michaelina und ihr älterer Bruder Charles, der als Maler tätig ist, mithilfe der De Merode-Familie als malende Geschwister ihren Weg nach Brüssel und damit zu den kunstinteressierten Adeligen ihrer Zeit gefunden haben. Ob Charles, der als Mann die Möglichkeit gehabt hat, eine reguläre Malerausbildung zu absolvieren, nach seinem Abschluss der Lehrer seiner Schwester wird, kann nicht mit Sicherheit geklärt werden. Möglicherweise bekam Michaelina auch bereits in Mons eine malerische Grundausbildung.
Dynamisches Duo: Michaelina und Charles Wautier
Der Umzug der Geschwister nach Brüssel – wann auch immer dieser genau stattgefunden hat – markiert ein wichtiges Ereignis in Michaelina Wautiers Leben. Ob Charles eine Studienreise nach Italien gemacht und Michaelina ihn dabei eventuell sogar begleitet hat, ist noch nicht geklärt.
1642 mietet Charles ein geräumiges Haus. Wann Michaelina zu ihm nach Brüssel kommt, ist nicht nachvollziehbar, es wird jedoch angenommen, dass sie in den 1640er Jahren zu ihm zieht. Bleibt die Frage, ob sie gemeinsam gearbeitet haben oder jeder seinen eigenen „Geschäften“ nachging. Beider Beziehung muss jedoch besonders eng gewesen sein, da Michaelina in ihrem 1662 verfassten Testament ihren gesamten Besitz Charles hinterlässt. Beide wohnen bis zu Michaelinas Tod 1689 zusammen. Besonders bemerkenswert ist, dass es über Michaelina Wautier keine zeitgenössischen Berichte zu ihr als Person oder ihrem künstlerischen Werk gibt. Charles Wautier hingegen wird als wichtiger Maler seiner Zeit in Brüssel sehr geschätzt und stirbt 1703 mit 94 Jahren ebenfalls in Brüssel.
Michaelina Wautier wird in die beginnende Barockzeit hineingeboren. Die Gesellschaft ist damals streng hierarchisch gegliedert: Der Adel herrscht, das Volk gehorcht. Alle Menschen sind strengen Regeln und sozialen Normen unterworfen. Von vielen Restriktionen sind Frauen jedoch stärker betroffen, da sie zumeist als „Wesen zweiter Klasse“ angesehen wurden. Ihre Möglichkeiten zu lernen, eine Ausbildung zu machen oder selbstständig tätig zu sein und ein Geschäft zu führen, sind äußerst beschränkt. Auch der Beruf des Malers ist männlich dominiert. So gibt es zwar immer wieder malende Frauen, die das Malen als (adeliges) Hobby betreiben, doch Berufskünstlerinnen sind sehr oft entweder in Vergessenheit geraten – wie auch Michaelina – oder gelten als „wundersame Ausnahmen“.
„Item maister Gerhart, jlluminist, hat ein töchterlein bey 18 jahren alt, die haist Susanna, die hat ein plätlein illuminirt,
ein Salvator, dafür hab ich jhr geben, 1 gulden. Ist ein Wunder, das ein Weibs bild also viel machen soll.“
Männliche Konkurrenz – weibliche Stärke
Sehr oft wurden Frauen künstlerische Fähigkeiten überhaupt abgesprochen. Wenn man(n) ihnen das Malen zutraut, dann jedoch nur bestimmte Gattungen der Malerei. Künstlerinnen seien maximal geeignet für Porträts und Stillleben und nur für kleine Formate – so lautet der allgemeine Tenor. Dementsprechend ist Michaelina Wautiers frühestes gesichertes Werk ein Porträt, das 1643 datiert wird. Sie malt den spanischen Kommandeur Andrea Cantelmo, der mit seinem Heer 1642 durch Mons zieht. Das originale Gemälde ist nicht mehr erhalten, durch einen Kupferstich von Paulus Pontius bekommen wir aber einen – wenn auch monochromen – Eindruck.
Aber schon bald werden ihre Bilder größer, ihre Themen breiter gefächert. In Die mystische Vermählung der hl. Katharina6 von 1649 widmet sie sich einem religiösen Thema in großem Format und signiert: „Michaelina Wautier invenit et fecit 1649“ („Michaelina Wautier hat es erfunden und 1649 gemacht“). Damit zeigt sie ihr Selbstbewusstsein als Malerin – ein solches Historiengemälde von solcher Qualität war in den Niederlanden bis dahin für eine Frau ohne Beispiel. Michaelina ist eine Künstlerin, die komplexe Kompositionen auf großen Formaten aus ihrer Vorstellungskraft erschaffen kann. Das traut man(n) Frauen eigentlich nicht zu.
„Es ist kein Rock, der einer Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will.“
Um verloren gegangene Künstler*innen wiederzuentdecken, gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Recherche – das Suchen und Finden – von Quellen gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Forschenden, die bei diesem Prozess nicht selten in die Rolle von Detektiv*innen schlüpfen müssen.
Zeitgenössische Quellen aus dem Umfeld der „Vermissten“ oder sogar von deren eigener Hand (Taufbucheinträge in Kirchenbüchern, Testamente, eigene Schriften, Briefe, Publikationen etc.) sind besonders aufschlussreich. Literaturrecherche, Inventare (Auflistungen) von Museen und privaten Sammlungen oder Auktionskataloge bringen oft weitere Hinweise zum Werk der Künstler*innen. So können im Idealfall weitere – vielleicht sogar noch nicht bekannte – Werke einem/r Kunstschaffenden zugeordnet werden. Durch technische Untersuchungen von Malweise und Materialien können ebenfalls Rückschlüsse und Vergleiche gezogen werden, die sich für eine Zuschreibung an eine bestimmte Person als wichtig herausstellen können. So entsteht durch jahrelange Kleinarbeit ein immer größer werdendes Bild neu entdeckter Künstler*innen!
In Brüssel bringt es Michaelina Wautier zu einigem Ansehen. Sogar der kunstsinnige Statthalter der Spanischen Niederlande, Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich, gehört zu ihrem Kundenkreis. Er zählt zu den wichtigsten Sammlerpersönlichkeiten der Habsburger und seiner Sammellust verdankt die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien einen großen Teil ihrer Objekte.
Der Triumph des Bacchus, Michaelina Wautier, 1655/1659
Der betrunkene Bacchus, Gott des Weines, wird von zwei Satyrn auf einem Karren transportiert, ein dritter träufelt ihm Traubensaft in den Mund inmitten eines bacchantischen Zugs. Rechts blickt eine Frau auffallend distanziert aus dem Bild: antikisierend leicht bekleidet, ist ihre linke Brust entblößt, sie trägt einen Stab mit Weinranken und könnte eine Bacchantin, eine Anhängerin des Gottes, oder seine Geliebte, Ariadne selbst sein. Tatsächlich handelt es sich bei der Dargestellten um ein Selbstporträt der Künstlerin, was angesichts des Themas sehr bemerkenswert ist. Sich selbst in solch weinseligem Kontext zu zeigen zeugt von Mut und Ironie.
Titel:
Der Triumph des Bacchus
Künstler/in:
Michaelina Wautier (c. 1614 Bergen (Mons) - 1689 Brüssel)
Zeit:
1655/1659
Michaelina Wautier hat sich nie auf nur eine Gattung der Malerei beschränkt. Ihr Werk zeichnet sich besonders durch die Vielfalt der Genres aus. Im Historiengemälde Der Triumph des Bacchus7 mit antik-mythologischem Thema von 1655/59 tritt sie selbst im Gefolge des Gottes auf.
Mit der Bilderserie der Fünf Sinne,8 auf 1650 datiert, kombiniert sie eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe mit kindlicher Natürlichkeit und erhebt fünf kleine Jungen zur Allegorie.
Zwei außergewöhnliche Blumengirlanden9 entstehen 1652 – Michaelina Wautier will sich nicht auf ein Genre festnageln lassen! Ihr Stil ist eine außergewöhnliche Mischung aus Monumentalität und Detailreichtum, starkem Ausdruck und eleganter Ausgewogenheit.
Besser spät als nie
Wautiers monumentaler Triumph des Bacchus aus der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm gilt heute als eines der Highlights der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums – das Vermächtnis einer hochbegabten, gebildeten und gut vernetzten Künstlerin. Auch ihr Bruder Charles Wautier wird seinerzeit in Brüssel als Porträtist sehr gelobt. Und doch wurden beide vergessen.
Die Forschung hat bereits viel zutage gefördert, aber es gibt noch unzählige blinde Flecken in ihrer Biografie und ihrem Werk.
Ist Die Verkündigung4 von 1659 wirklich ihr letztes Werk?
Warum beendet sie ihre Karriere oder tut sie es etwa doch nicht?
Gibt es noch andere erhaltene Werke der Künstlerin und wenn ja, welche Geschichte(n) erzählen sie uns?
Zuschreibungen, Verwechslungen, unvollständige Inventare und verlorene Quellen erschweren die Anstrengungen der Forschenden – aber die Geschichte der großen Barockmalerin Michaelina Wautier ist noch nicht zu Ende. Im Gegenteil, sie fängt gerade erst an!
Zu sehen in
Michaelina Wautier
Ab 30. September 2025
1 Paulus Pontius nach Michaelina Wautier, Andrea Cantelmo, 1643. Kupferstich, 403 × 298 mm. Privatsammlung |
2 Michaelina Wautier, Selbstporträt, um 1650. Öl auf Leinwand, 120 × 102 cm. Privatsammlung |
3 Michaelina Wautier, Porträt des Martino Martini, 1654. Öl auf Leinwand, 69,5 × 59 cm. Mit freundlicher Genehmigung von The Klesch Collection |
4 Michaelina Wautier, Die Verkündigung, 1659. Öl auf Leinwand, 200 × 134 cm. Musée du Domaine Royal de Marly, Louveciennes, dépôt de la Ville de Marly-le-Roi, Inv.-Nr. 77.30.11 |
5 Michaelina Wautier, Porträt eines Befehlshabers (Pierre Wautier?), um 1660. Öl auf Leinwand, 73 × 58,5 cm. Privatsammlung |
6 Michaelina Wautier, Die mystische Vermählung der hl. Katharina, 1649. Öl auf Leinwand, 157 × 218 cm. Séminaire de Namur |
7 Michaelina Wautier, Der Triumph des Bacchus, 1655/59. Öl auf Leinwand, 270 × 354 cm. Kunsthistorisches Museum |
8 Michaelina Wautier, Die fünf Sinne (Serie), 1650. Öl auf Leinwand, 69,5 × 61 cm. Rose-Marie and Eijk Van Otterloo Collection |
9 Michaelina Wautier, Blumengirlande mit einer Libelle, 1652. Öl auf Holz, 41,1 × 57,4 cm. Privatsammlung, Connecticut, USA |