um 1613/20, Künstler/in: Christoph Angermair
Ein quadratischer Ebenholzbaldachin mit übereck gestellten Säulen umschließt die Figur eines Schmerzensmannes aus Elfenbein. Das Dach des Tempiettos bekrönt ein überkuppelter Aufbau mit ovalen Seitenöffnungen, auf dessen Scheitel 1922 ein Strahlenkranz aus vergoldetem, mit Almandinen besetztem Silber angebracht wurde. Darin soll sich eine Partikel der Geißelsäule Christi befinden. Die ursprünglich vorhandenen übrigen Reliquien wurden wohl in den heute leeren seitlichen Sockelladen verwahrt. Sämtliche Flächen der Architektur en miniature sind mit zart geschnittenen Elfenbeinornamenten in der Art von Silberappliken dekoriert. Dem ernsten Stimmungsgehalt der Darstellung entspricht der starke Farbkontrast zwischen Ebenholz und Elfenbein. Der tänzelnd gedrehte Körper des Schmerzensmannes ist bis auf das Lendentuch nackt, beide Arme sind etwas angehoben. Sein langes Haar fällt in dicken, gedrehten Strähnen herab. Die eigentümlich manierierte, altertümlich wirkende Christusfigur entzog sich lange einer stilistischen Einordnung, was sich in den divergenten Vorschlägen etwa einer Entstehung in Spanien oder auch in den Niederlanden niederschlug. Die schlanken Proportionen mit den schmalen Schultern, dem eingezogenen, kugelig gewölbten Bauch und den gedrehten Hüften gemahnen eher an einen Schmerzensmann des ausgehenden 15. Jahrhunderts, wie er von ähnlichen Formulierungen in der spätgotischen Grafik, Malerei und Skulptur her bekannt ist. Während Elfenbein in der höfischen Kleinplastik der Dürerzeit noch keine Rolle spielte, versuchten sich technisch versierte Bildschnitzer der von Sammlern und Künstlern gleichermaßen getragenen Dürer-Renaissance des späteren 16. und frühen 17. Jahrhunderts sehr wohl in diesem charakteristischen Kunstkammermaterial, das sich für eine detailreiche Bearbeitung besonders eignete. Christoph Angermair war 1613 durch Vermittlung von Philipp Hainhofer an den Münchner Hof von Herzog Maximilian, einem passionierten Dürer-Sammler, berufen worden. Der überragende Rang der Elfenbeinarbeit sowie Übereinstimmungen mit gesicherten Werken erlauben eine Zuschreibung des seit 1752 im Kapuzinerschatz nachweisbaren Werkes an diesen Hofkünstler.
Reliquiar; Statuette; Elfenbeinschnitzerei
München
um 1613/20
Christoph Angermair (um 1580 Weilheim - 1633 München) - GND
Elfenbein, Hartholz, Ebenholzauflagen, Silber vergoldet, Almandine
H. 71,5 cm
Statuette : H. 26,2 cm
Kunsthistorisches Museum Wien, Geistliche Schatzkammer
Schatzkammer, GS Kap 297
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